Ekklesio-adversative Therapie
gegen religiös bedingte Zwangsneurosen
Vorwort Müller: Frank Sacco, Doktor der Medizin, wendet sich der Zwangsneurose zu. Wenn die Zwangsneurose durch christliche Indoktrinierung entstanden ist, liegt ein Sacco-Syndrom vor. In den Symptomen bei einer Zwangserkrankung erkennt Sacco den Versuch einer Defektheilung – wie er auch in Bestätigung von C. G. Jung den Wahn bei einer Schizophrenie als einen Selbstheilungsversuch des Patienten wahrnimmt. Die Therapie liege in beiden Fällen in einer EAT (ekklesio-adversativen Therapie): Dem Patienten wird vom Therapeuten die hinter der Erkrankung stehende und die Erkrankung bedingende Massivangst vor einer göttlichen Bestrafung einfach ausgeredet. Ein irgendwie in Ewigkeit folternder Gott wird ad absurdum geführt. "Und das funktioniert", so Sacco.
Die Zwangsneurose
Ein Zwangsneurotiker führt unter einem nahezu unwiderstehlichen Zwang stehend Handlungen durch, z.B. ständiges Händewaschen. Die Zwangshandlung befreit ihn für den Moment von seinen starken Ängsten. Er strebt eine „Defektheilung“ an. Die Handlung kann eine bedeutende Zeitspanne des Tages einnehmen. Viktor E. Frankl beschreibt in seinem Buch „Der unbewusste Gott“ dtv im Kapitel „Unbewusste Religiosität“ einen derartigen Zwangskranken in seiner Zwangsneurose. Viele, auch analytische Therapien waren gescheitert. Der Patient konnte z.B. keinen Diensteid schwören, sonst glaubt er, Mutter und Schwester würden im Jenseits verdammt, falls er einmal gegen diesen Eid verstoße. Eine Ehe konnte er nicht eingehen, da er befürchtete, beim Brechen der Eheversprechung seinerseits würden Mutter und Schwester verdammt (= zur ewigen Hölle verurteilt). Er schildert Angst, Gott könne sich an ihm rächen.
Bei diesem Kranken lag demnach ein Sacco – Syndrom vor. Der Begriff Zwangskrankheit ist in diesem Falle irreführend oberflächlich. Der Zwang ist lediglich nebensächliches, begleitendes Symptom. Würde man nur den Zwang behandeln, die Krankheit würde sich verschlimmern. Es könnten Phobien und noch stärkere Depressionen auftreten. Mit seinen Zwängen hält der Kranke sich über Wasser, wie Kierkegaard es mit seinem zwanghaften Masochismus tun musste: Er wählte eine lebenslange Askese.
Charakteristisch ist, dass der obige Zwangskranke bei kleinsten Verfehlungen die schlimmste Gott – Strafe befürchtet: Ewige Verdammnis für sich und für seine engsten Angehörigen. Die Strenge des religiösen Glaubens entspricht der Strenge des Anteiles des Über-Ichs, das ich Gott-Ich nenne. Eine zwangsneurotische Struktur entsteht, wenn das Kind mit Geboten überhäuft wird und Liebe, auch die Liebe Gottes, von der Einhaltung bestimmter Regeln abhängig gemacht wird. Auf die Nichteinhaltung seiner Gebote hält Bibelgott entsetzliche, unchristliche Strafen gleich bereit, schon bei geringsten und geradezu lächerlichen Vergehen. Einen Ungehorsam gegen die Eltern bestraft das Gott-Ich mit Steinigung, sexuelle „Verfehlungen“ mit Lebendigverbrennung, Minimalvergehen mit Folter. Ein echter Ungott, dieser ausgedachte Gott! Isaak B. Singer will ihn beim Jüngsten Gericht anschreien: „DU bist nicht gerecht“ (Quelle Bild 27.2.2012). Es ist schrecklich, an einen derartigen „Gott“ glauben zu müssen. Für Kinder ist dieser Gott gar nichts. Man muss Kinder vor einem solchen „Gott“ wenigstens bis zum 16. Lebensjahr beschützten. Das lehrte uns schon Nietzsche.
Es liegt in obiger Fallvorstellung nicht, wie Frankl es ausdrückt, ein „Defizit an Transzendenz“ vor mit ursächlicher „selbstherrlicher Vernunft“, sondern einfach im geraden Gegenteil ein Zuviel an Glaube, ein Wörtlichnehmen der Bibel, die z.B. Jesus als Despoten mit den Worten schildert, er werde kommen und foltern, Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Mit Feuer natürlich, in einem Feuerofen, wie es bei Matthäus „geschrieben steht“. Hier haben wir einen Patienten, der im Religionsunterricht zu gut aufgepasst hat. Er hat zuviel Religion, ein Zuviel an kranker, fundamentalistischer Unreligion, ein Zuviel an amtskirchlich verordnetem Aberglauben.
Die kausale Therapie ist also nicht die Behandlung einer „selbstherrlichen Vernunft“, sondern eine EA-Therapie, also das direkte Gegenteil. Wichtig und nötig ist für obigen Patienten eine konsequente Anamnese (Erhebung der Vorgeschichte), evtl. unterstützt mit einer Erinnerungs – Hypnose, da seine Gedanken an einen ewig strafenden Gott eine „Schuld“ im Lebenslauf voraussetzt, eine „Sünde“, die vielleicht als Kind begangen wurde. Die kann minimal aber unaufgearbeitet, und im Unterbewussten auf Turmhöhe angewachsen sein.
Wie immer in der Psychiatrie, sagt uns der Patient das meiste von alleine. Wir müssen nur aktiv zuhören wollen und können. Frankl gelingt dies auf Grund einer eigenen Blockade nicht. Und wo kein aktives Zuhören ist, da ist kein Begreifen. Schopenhauer dazu: „Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein.“ Ein Patient, der befürchtet, in die Hölle zu kommen, verdammt zu werden, ist schwer depressiv. Er ist nicht unbedingt suizidgefährdet, da ein Suizid „von Gott“ angeblich verboten ist und in der Vorstellung des Klienten eine noch schlimmere Höllenstrafe bewirken würde.
Warum kann Frankl die Botschaft des Patienten nicht verstehen, dieser drückt sich doch sehr eindeutig aus. Frankl verdrängt die Negativelemente in der Bibel und gestattet sich nicht, Bibelgott einer Kritik zu unterziehen. Er übersieht dessen Quälereien. Im oben erwähnten Buch ist von solchen nie die Rede. Frankl sieht an dieser Stelle weg. Er darf nicht zuhören. Er wird symptomatisch für die nachfolgende Psychiatrie bis 2015. Die Kausaltherapie des Zwangskranken ist durch Elementarangst beim Therapeuten blockiert, die Angst, „Gott“ zu kritisieren. Es besteht tief verdrängte Angst vor der Hölle und damit eine Sacco–Symptomatik beim Therapeuten. Die ist eingebunden in ein Helfersyndrom mit dem Zwang, helfen zu müssen. Denn Helfen bietet nach der Bergpredigt Schutz vor der persönlichen Hölle. Berufswahl und -ausführung bei Psychiatern sind vielfach eine derartige Zwangshandlung. Aus Gottangst wählt Frankl eine Spezialbehandlung für seine Kranken, die „Sinn“ – Behandlung. Den „Sinn des Lebens“ will Frankl seinen Klienten klarmachen. Vereinfacht, so wird es im Text klar, die 10 Gebote. So wird Höllenangst natürlich bei Arzt und Patient zunächst gemildert. Es ist aber zweckmäßiger, die Hölle selbst ad absurdum zu führen. Denn: Wer kann schon die 10 Gebote einhalten? Niemand.
Frankl schreibt also ein Buch über den „Unbewussten Gott“, der ihm jedoch selbst unbewusster ist und bleibt als seinem Kranken. Insofern ist der Titel treffend. Ich achte Frankls Leid in seiner Lebensgeschichte. Ich achte seinen Willen und sein Lebenswerk, humanitären Sinn einem Patientenleben geben oder einen schon vorhandenen Sinn einem Patienten darlegen zu wollen. Kirchenbedingte bzw. synagogenbedingte Schädigungen sieht Frankl aber nicht. Auf diesem entscheidenden Gebiet bringt er lediglich Defektheilungen zustande.
Einer meiner Patienten hob jeden Stein vom Fussweg auf. Er hatte als Zwangskranker auf Befragen Angst, es könne jemand darüber fallen und zu Schaden kommen. Unbewusst hatte er Angst vor unterlassener Hilfeleistung, Angst also vor einer Versündigung. Eine Zwangshandlung ist somit ein Weg der Höllenvermeidung, ein "bester Freund", wie Rita Gigante, eine Zwangsneurotikerin, es beschreibt (in der Die Welt, 5.12.13). Im Waschzwang wäscht der Erkrankte eine alte „Sünde“ ab. Einer meiner Patienten duschte stundenlang. Ihm war als Kind ein Bettnässen als Schuld bzw. Sünde dargelegt worden. Schuld und Sünde kann ein Kind noch nicht trennen. Es kann die einzelnen Über-Ich-Anteile (Gott, Vater, Mutter, Großeltern, Kindergärtnerin, Lehrer) noch nicht sauber trennen.
Somit ist Verhaltenstherapie bei Zwängen ungünstig, da Höllenangst u.U. gesteigert wird. Das erklärt das häufige Versagen dieser Therapie beim Zwang. Lässt o.g. Patient einen großen Stein nach einer Verhaltenstherapie tatsächlich auf dem Fußweg liegen, und jemand verunglückt tatsächlich schwer, so resultieren starke Sündengefühle und ggf. ein Suizid oder eine Psychose. Besser ist, ihm sein Unbewusstes, seine Höllenangst zu erklären und die Hölle als KZ Gottes (Diktion Hürlimann) in einer EAT ad absurdum zu führen. Die Zwangshandlung ist während der Krankheit der beste Freund des Erkrankten. Daher ist es so schwer, ihn außerhalb einer EAT gesund zu bekommen (Bilder: Sacco).