Ist denn jeder schizophren?
Von Dr. Rolf Reitis April 2020
Natürlich. Jeder hat ein gespaltenes Bewusstsein. Psychiater können (noch) keine Diagnosen stellen. Doch wir arbeiten daran, dass sie es lernen. Schizophren ist lediglich ein Symptom wie autistisch, unaufmerksam, selbstverletzend, süchtig, depressiv, zwanghaft. Es ist ein Symptom wie Lachen oder Husten. Die Ursache muss in die Diagnose einfließen, damit es eine wird. Ist sie unbekannt, kann man bspw. von einem „kryptogenen“ Autismus sprechen als der Schizophrenie des Kindes. Bewirkte Gottangst den Autismus, liegt ein ecclesiogener Autismus vor, wie ihn Birger Sellin aufwies, bevor er sich heilte (1). Jeder ist schizophren, jeder hat eine Psychose. Das lehrte uns schon Freud.
Es liegt in der Psychose eine Bewusstseinsspaltung vor. Und die brauchen wir alle sehr nötig, um überhaupt überleben zu können. Schizophren sein und etwas verdrängen, das ist ein und dieselbe Sache. Man steht verliebt am Waldesrand, um weitab jeden Bauernhofes seiner Angebeteten die mitgebrachte Briefmarkensammlung unter der Bemerkung „Ach ist die Welt schön“, zu zeigen. Da bemerkt man: Man steht auf einem Ameisenhaufen. Die entsetzliche Folge: Das Ameisen-Rotkreuz ist völlig überlastet. Beatmungsgeräte: zu wenig. Nachschub: keiner. Ärzte: selber verletzt. Toilettenpapier: ausverkauft. Millionen der getretenen Tiere weisen teils schwerste äußere und innere Verletzungen auf. Die zwei Liebenden „wissen“ das, und doch wird es „ein schöner Abend“. Warum? Die Katastrophen werden, kaum dass sie registriert sind, verdrängt. Wissen und „Nichtwissen“ existieren parallel. In ein- und derselben Person. So bleibt man gesund und fröhlich. Unsere Tagesschausprecherinnen wünschen uns, einerlei welche Gräuel sie uns gerade zeigten, „noch einen schönen Abend“. Der wird auch schön. Einerlei, was in der „Welt“ passiert.
Die Fähigkeit zu einer Bewusstseinsspaltung kann streckenweise ausbleiben. Dann ist bzw. wird man schwer depressiv. Wer diese Welt länger ohne Verdrängung sieht, sehen muss, der stirbt durch eigene Hand. Andererseits kann die Spaltung des Bewusstseins so weit gehen, dass ein Pflegefall resultiert. Der typische Schizophrene in einer Dauereinrichtung zeigt sich allermeist extrem gläubig. Er ist der Vorzeigegläubige, die Freude des Anstaltspfarrers. Sein Zimmer hat er zur Kathedrale umgestaltet. Er versäumt keinen Gottesdienst. Er „liebt“ Gott und „weiß“ sich geliebt. „Jesus ist ohne Sünde. Das weiß ich felsenfest“, so die von mir unten noch genauer beschriebene Psychotikerin. Nennen wir sie Maja. Dabei weiß sie über den „Retter“, der beileibe nicht alle rettet, nur aus zweiter Hand. Das „felsenfest“ aber ist Majas Rettung vor einer Versündigung. Sie muss seine, dem Retter nachgesagten Straftaten verdrängen. Wer dessen Sündenfreiheit anzweifelt, der versündigt sich. Wer die Verbrechen des Bibeljesus als solche identifiziert, kommt in dessen Hölle. Und dort ist es schlimmer als „unter Hitler“, so der Kirchenautor Hans-Werner Deppe (2). Dass Jesus dort heftig foltert, bestätigt uns auch der Vatikan im Heiligen Jahr 2000. Die polnische Nonne Faustine hat ihn selbst beobachtet. Und bei der Apokalypse wirft dieser Jesus Sünder in einen feurigen Pfuhl – und das auf ewig. Bischof N. Schneider bestätigt uns das als Chef der EKD: Gewisse Sünder kommen in das ewige „Feuer“ Jesu (3). Diese „Botschaft“ verstöre Kinder. Dass Gottvater ebenfalls lieb sein soll, geht aus den Bildern etlicher Schizophrener hervor, so zu sehen im Museum Gugging. Dabei lässt sich dieser „Gott“ seinen „Sohn“ opfern. Als Osterlamm. Ja muss es denn immer Lamm sein? In den Bildern Schizophrener mutet eine Kreuzigung Jesu wie ein fröhlicher Kindergeburtstag an. Selbst der am Kreuz wird fröhlich dargestellt. Anders geht es nicht, weiß bzw. fühlt man sich doch entsprechend dem gültigen Dogma auch als sündiger Schizophrener schuldig an der Folter am Kreuz. Also: Je fröhlicher der Dortige dort hängt, umso weniger Schuld- bzw. Sündengefühle beim Psychotiker. Die Kirche spricht hier gnadenlos von einer „Mittäterschaft“ an der Kreuzigung, auch von Schizophrenen und Kindern. Gnadenlos gibt man Vierjährigen ein sog. Abendmahl mit dem Hinweis: Für dich, den Mittäter, den Sünder, am Kreuz vergossen in Stellvertretung. Das ist harter Tobak, harte Schuld, die nach Luther auch noch als „wahres Blut und wahrer Leib“ inokuliert werden muss. Das Mahl erweist sich als Gift. Gift sei es, so auch Rilke. Doch billiger erzielt man weder Demuth noch Schuldgefühle, als dass man unschuldige Kinder frühzeitig zu Mördern am eignen Gott macht. Da das am Gesetz vorbei ist, muss ein heilig davor: „Heiliges“ Abendmahl. So bleibt auch der getaufte Staatsanwalt ängstlich stumm. Und bei der Sintflut? Bilder Schizophrener zeigen sie als munteres Fest auf einem lustigen Dampfer. Nichts von Gräuel, von Waterboarding, nichts von Folter, nichts von einem grausamen Gott, der hier gerade den ersten „gerechten“ Holocaust hinlegt. Dass ein Holocaust gerecht ist, dieses ungesunde Rechtsempfinden darf man entgegen § 131 StGB nach Auschwitz nur als Kirche unseren Kindern beibringen. Staatsanwalt Stoll von der Staatsanwaltschaft Hannover hatte gegen diesen Rechtsverstoß keinerlei Einwände. Das Umfunktionieren eines Holocaust in eine gerechte Tat sei in Deutschland „sozialadäquat“.
Schizophren krank wird man in der Regel durch eine große, kindlich begangene „Sünde“. Diese wird nicht gebeichtet oder in einer Beichte nicht vergeben. Es resultiert zunächst eine schwere Depression, oft mit begleitendem Hilfesuchen in einer Sucht wie Alkohol oder Cannabis. Das Gedankenkreisen macht arbeitsunfähig. Ein Rückzug aus der Gesellschaft soll jede weitere Versündigung am Nächsten verhindern. Ohne Kommunikation kommt Misstrauen als weiteres Symptom auf. Erst später gelingt es den Depressiven, sich in einen Wahn zu retten: Jesus sei lieb. Gott sei lieb. Beide würden den Kranken lieben. Reicht das nicht an Wahn, wird man zur Mutter Maria oder zum Jesus. Denn diese beiden wird Jesus ja wohl kaum foltern. Wo Verdrängung der rettende Wahn des Gesunden ist, da kann nur noch eine komplette Wahnwelt die schwer an einem Sacco-Syndrom Erkrankten retten.
Ich begleite die oben schon erwähnte Patientin „Maja“. Sie hatte sich als Kind in der Kirchenbank gestoßen. Während der Heiligen Messe! Das Kind rief „Kruzifix nochmal“. Das wurde ihr als „schwere Sünde wider den Heiligen Geist“ in der Beichte nicht vergeben. Dabei gibt es gar keine Geister. Kommt in dieser Notlage eines Kindes dann nicht schnell genug ein guter Therapeut mit Kenntnis des Sacco-Syndroms und erfahren in der Ecclesio-adversativen Therapie, der EAT, nimmt die Krankheitsentwicklung ihren Lauf. Man mag schwer depressiv werden oder sich aufhängen, wie Iocaste. Die Mutter des Ödipus, von ihrer „Religion“ zur „Schänderin“ ihres eigenen Sohnes gemacht, opferte Zeus gar ihr Leben. In Majas Fall resultierte als „Rettung“ vor dem „Retter“ eine 100%ige Unterordnung unter alle Kirchendogmen. Die Erkrankte ist heute eine 100%ige Katholikin, eine 24 - Stunden - Katholikin. Leider hilft ihr selbst das noch zu wenig. Sie erlebt noch immer schreckliche Bilder: Auf dem Altar wird sie verbrannt. Im katholischen Kinderheim, wo sie aufwuchs, durfte man nicht spielen. Weder mit Puppen noch mit kleinen Tieren. Als sie es dennoch tat, musste sie das Kaninchen selbst töten. Die Lehrerin führte ihr dabei das Messer in ihrer Hand.
Andere Beispiele geben uns die großen Aufklärer. Meist wurden sie angstkrank. Meist kamen sie aus kirchlichem Milieu. Nietzsche hielt seinen Gottesmord („Gott ist tot“) nicht aus, ebenso wenig Hölderlin, der sich ebenfalls in einer schweren Krankheit von jedem Glück, jedem Dichten und von uns verabschiedete. Auch Freud hielt sein „Religion ist Wahn“ nicht aus, den Mord an Jahwe. Wohl wissend um die Schäden, die Religion anrichtet, lehrte er im Alter und in dem Wahn, Religion sei etwas Gesundes, man dürfe als Arzt Patienten ihren Glauben auf gar keinen Fall nehmen. Diesen ihn schützenden Wahn übertrug er auf die heutige etablierte Psychiatrie. Man glaubt es dort noch immer. Ja man wagt in verdrängter eigener Gottangst nicht einmal, religiös zu denken (Prof. Leuzinger - Bohleber), über Religion zu sprechen (siehe bei Dr. Manfred Lütz) oder gar Erkrankte kausal zu therapieren (Dr. Rüber-Winterhoff). Man schiebt sie zum verursachen Klerus ab. Freuds „Flucht“ bestand - neben diesem Wahn - in einer Sucht. Zur Not half ihm auch eine Ohnmacht. Die Psychoanalyse sei „vom Teufel“, rief die katholische Kirche ihm zu. Da sie von Freud war, verteufelte ihn „seine“ Kirche. Es war „seine“ Kirche, denn Freud wuchs bireligiös auf: als Jude und Katholik. Der Sünder Kierkegaard, die Sünde einer Verfluchung Gottes lag auf der Seele der ganzen Familie, kreiert gar eine neue Form des Glaubens: einen „Sprung“ in ihn hinein. Auch er musste ein 100%iger werden. Der Gottkritiker van Gogh schneidet sich ein Ohr ab. Er wird wahnsinnig. Der „Mutterschänder“ Ödipus heilt sich über einen religiösen Masochismus selbst. Er sticht sich die Augen aus. Warum? Aus Angst vor der Hölle der Rachegöttinnen. Die gibt es zwar nicht, aber deren Existenz wurde ihm eingeredet. Zeus konnte das an ihn gerichtete Opfer, das Opfer zweier gesunder Augen, wegen Nichtexistenz gar nicht einmal annehmen. Der griechische Götterhimmel war völlig leer. So ist auch die ecclesiogene Schizophrenie eine für den Patienten völlig überflüssige Qual. Es gibt ihn nicht, den ausgedachten Rachegott vom östlichen Mittelmeer. Friedrich der Große war mit der beste Analytiker, den wir je hatten. Die Bibel sei ein orientalisches Märchenbuch. Dem ist auch so. Gott sei Dank. Religionen sind Systeme von Grausamkeiten, so Nietzsche. Für diesen Satz hat er bezahlt: 10 Jahre mit einem Sacco-Syndrom. Hölderlin bezahlte 30 Jahre.
Die katholische Kirche hat sich nie dazu bekannt, von ihr gläubig Gemachte in den Wahnsinn getrieben zu haben, so Eugen Drewermann. Es geht halt um viel Geld. Die Kollateralschäden behandelt man in eigenen Psychiatrien. Mit Folter im Jenseits zu drohen, das sei das „Geschäft“ der Kirche. Das gibt der o. g. Bischof Schneider zu (4). Ich habe ihn wegen geschäftsmäßigem Terror angezeigt. Religion darf alles. Sie darf nur nicht krank machen. Auch für den Klerus gelten die hiesigen Gesetze. Das haben die Staatsanwaltschaften noch nicht begriffen. Doch wir arbeiten daran, dass auch dort einst gesetzestreu geurteilt wird. „Tief existentielle Ängste“ ruft das Höllendogma bei Kindern hervor, so eine Studie der Evangelischen Kirchen an etwa 10 000 Kindern (5). Es ist Zeit…. Es ist wirklich an der Zeit…
1. Birger Sellin: „ich will kein inmich mehr sein“. (Eine Selbstanalyse heilt den Autisten Sellin)
2. Hans-Werner Deppe: „Wie wird es in der Hölle sein?“ betanien (Jesus ist schlimmer als Hitler)
3. Bischof Nikolaus Schneider: „Von Erdenherzen und Himmelsschätzen“, Seite 54 (ewige Feuerfolter verstört Kinder)
4. Der Spiegel 43/2014 Glauben und Zweifeln (Jenseitsangst ist bares Geld)
5. Margot Käßmann: „Wie ist es so im Himmel?“ (Glaube macht Kinder über „ungeheure, tief existenzielle Ängste“ krank)