Ursachen der „endogenen“ Depression

 

  

 

 

Vorwort Müller: Passend zur aktuellen Thematik bei wissenbloggt hat Dr. Frank Sacco einen Artikel über Depression zur Verfügung gestellt (Bilder: Sacco). Sacco firmiert als Mitglied der Ev.-Luth. Kirche und Psychotherapeut, sein Thema sind die 

                   

Ursachen der „endogenen“ Depression

 

 

Depression                            von F. Sacco

 

Depression

Verbrennen ohne Feuer

Ertrinken ohne Wasser

Weinen ohne Tränen

Am Kreuz hängen

Und nicht sterben

Vögel, Blumen, Sonne

Und doch nur Qual

 

Kurzer Prolog

 

Behandelt unsere Psychiatrie ihre Kranken falsch, seit hundert Jahren falsch? Die Antwort ist: Ja. Freud führte auf die falsche Spur. Seine Theorie der Kastrationsangst als der "größten Angst jedes Knaben" war intellektuell konstruiert. Sie war nicht einmal, und ich versuche an dieser Stelle den Beweis zu erbringen, die Angst des Entwicklers der Psychoanalyse. Es war nicht einmal die Ursache der Neurose Freuds, die ihn immer wieder in Ohnmachten fallen ließ. Wem von Ihnen, liebe Leser, hat schon ein Elternteil jemals mit dem Abtrennen des Penis gedroht? Denn das war für Freud die "Kastration". Ja wer wurde, wer ist heute auf diese Weise kastriert? Niemand.

Was ist jetzt aber die Angst jedes Kindes, eine Angst, die auf Dauer ins Unbewusste verdrängt wird? Nun, was setzt diese Gesellschaft ihren Kindern für einen Gott, für ein Gottesbild vor? Hat dieser "Gott" nicht mit der Sintflut Schreckliches getan? Hat er nicht alle Lebewesen in Sodom und Gomorrha – ganz zum Entsetzen unserer Kinder – lebendig verbrannt? Ist er damit nicht zum größten bekannten Despoten geworden, oder genauer: Vom Klerus dazu gemacht worden? Stellt dieser „Gott“ nicht eine Rache an "Sündern" noch heute als seinen ethischen Grundsatz heraus? Meine Antwort dazu ist ein klares "Nein". Es sind die Erfinder und Vermittler unseres Glaubens, die in ihrem sadistischen Denken und Fühlen einen krank machenden Glauben verbreiten.

Diese Gesellschaft lässt es zu, dass die EKD als Leitung meiner Kirche, allen voran Bischof Nikolaus Schneider, noch heute unserem Gott ein ewig strafendes Feuer unterstellt. Ich habe Schneiders Rücktritt gefordert und ihn wegen Kindesmisshandlung angezeigt. Die Kirchendrohung Hölle mache Kinder nicht krank, so der beratende Psychiater der Niedersächsischen Ärztekammer. Er spricht damit stellvertretend für die deutsche Psychiatrie. Er könne sogar „sicher ausschließen“, dass Ankündigung ewiger Folter Kinder erkranken lassen könne. Kindern "Pornografie" zu zeigen, das sei doch „wesentlich schlimmer“. Dabei hatte in gleicher Sitzung die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. C. Goesmann, den Sadismus des Klerus beklagt: Die Kirchen würden "Grausamkeiten" begehen. Sie sei deshalb ausgetreten. Der von Goesmann zur Protokollführung bestimmte Jurist der Kammer weigert sich bis heute, diese ihre Äußerung in sein Protokoll aufzunehmen. Das ist bezeichnend für meine Kammer.

Auch die Deutsche Bischofskonferenz schreibt mir, es sei "nirgends valide belegt", dass ein Bedrohen mit Feuer (Beispiel: Offenbarung des Johannes) Kinder erkranken lassen könne. Hier verhalten sich beide Seiten unseriös: Die Psychiatrie, die den Kirchen die Angelegenheit noch nicht valide belegen konnte, und die Bischöfe, denen die größte Angst der Menschen sehr wohl bekannt ist und die sehr wohl wissen: Der von ihnen vermittelte Glaube ist heute noch fundamentalistisch und macht daher krank.

Der Begriff der Kastrationsangst ist zu ersetzen: Analytisch ist Gottangst die größte Angst des Menschen. Das lehren uns nicht nur Eugen Drewermann, Karl Jaspers und zahllose Geistliche. Sie ist damit auch die Angst unserer Psychiater. Zugegeben: Diese Angst ist tief verdrängt. Die Kirchen setzen in finanziellem Eigennutz einer ängstlich-gläubigen Bevölkerung einen Gott der ewigen Rache vor. Das hat mit Religion nichts zu tun. Das kann nicht gutgehen. Die Warnung unseres in gutem Sinn gläubigen Bundespräsidenten Joachim Gauck, in Religionsfragen nicht hinter die "Europäische Aufklärung" zurückzufallen, bleibt ungehört. Schon der Aufklärer Friedrich der Große warnte uns vor dem Aberglauben in unserer Religion. Die negativen Auswirkungen des hier angesprochenen seelischen Missbrauches übertreffen noch die des sexuellen, so Richard Dawkins.

Die Insassen der psychiatrischen Anstalten sind nicht etwa wegen Kastrationsängsten monatelang interniert. Sie haben, zu "Sündern" gemacht und als Unschuldige für schuldig an Jesu Kreuzestod Gesprochenen, Gottangst. Diese Angst ist eine mit einer EAT leicht zu behandelnde Erkrankung. Wehrlosen Kindern ein solches mittelalterliches Gottesbild vorzusetzen, ist ein Vergehen. Und um dieses krank machende Delikt geht es hier. Es geht um die Erkrankungen, die hieraus ergeben:

 

Das Sacco-Syndrom.

 

Die „endogene“ Depression wird heute meist „depressive Episode“ genannt. Sie soll „vererbt“ sein oder „von innen heraus kommen“ – ohne einen Grund. Sie ist nicht als endogen zu bezeichnen, bevor nicht ein kausaler Therapieversuch gemacht wurde. Hier, bei der schecklichsten aller psychischen Erkrankungen, ist eine EA-Therapie immer indiziert. Oftmals wird vom Patienten geäußert, Gott- bzw. Höllenangst käme überhaupt nicht als Ursache in Betracht. Trotzdem bzw. gerade deshalb ist es notwendig, den Erkrankten einfach etwas über die heutige Kirche zu erzählen und Kirche bei ihnen wieder zum Thema zu machen. Man lässt einfach auch für den Patienten offen, ob religiöse Probleme überhaupt für ihn relevant sind. Man weist darauf hin, dass Statements in der Art, man glaube nicht an die Hölle, vom Bewusstsein gesteuert werden und das Unterbewusstsein in der Regel uns nur in Ausnahmen zugänglich ist – zum Beispiel nach einer durchgemachten speziell religiös ausgerichteten Psychoanalyse. Gerade heftige Ablehnung der Vorstellung, Kirche könne am Geschehen schuld sein, spricht für einen Zusammenhang. Dann ist man meist auf der richtigen Spur. Die endogene Depression ist in der Regel ein moderner Masochismus: Leid und Schmerz kann aus mehreren Gründen erwünscht sein: Diese Gefühle können Strafbedürfnisse und Schuldgefühle befriedigen wie es allzu oft bei Anorexie, Zwängen und „depressiven Episoden“ der Fall ist.

 

Zur Schuld möchte ich noch Grundsätzliches sagen. Im Brockhaus steht es so: „Schuld: Verantwortung für die Verletzung eines rechtlichen, moralischen oder religiösen Gebotes... Beurteilungs-Instanzen der Schuld sind das eigene Gewissen, die Verpflichtung gegenüber der Gruppe, in der man lebt, das kodifizierte Strafrecht und Gott.“ Über Schuldgefühle bei Patienten kann man demnach als Psychiater nicht qualifiziert reden, wenn man Gott und Religion schlicht ausklammert. Der Brockhaus kann hier mehr als unsere Psychiatrie, die sich aus lauter Ängstlichkeit nicht qualifiziert über Religion unterhalten will, weil sie fürchtet, dann irgendwann Gottkritik äußern zu müssen. Auch wenn man es Psychiatern nicht ansieht, sie sind auf konservative Weise ebenso hoch religiös, wie ihre amerikanischen Kollegen. Das beschreibt Frau I. Hofmann in ihrer Doktorarbeit. (Uni Oldenburg 2010: „Religiosität und Spiritualität in der psychologischen Praxis")

 

Ich denke so: Es gibt die Schuld A mit einem Schuldgefühl A. Schuld A ist das objektive einer Schuld und das resultierende Schuldgefühl A ist dementsprechend aufs Sachliche begrenzt. Schuld A kann bereinigt werden. Hat man als Beispiel eine Frau oder eine Göttin beleidigt, so entschuldigt man sich bei ihr und zahlt ihr eine Entschädigung. Punkt und Schluss.

Schuld B ist nun die religiös bedingte und kirchlich gewollte Überhöhung der Schuld ins Transzendentale und  Irrationale. Es resultiert und entsteht der Begriff der „Sünde“, der eine Erfindung der Geistlichkeit ist und Schuld an der Überfüllung unserer geschlossenen Anstalten.  Wird die oben genannte Beleidigung als Sünde am Tage des Jüngsten Gerichtes hart und vor allen Dingen ewig bestraft werden? Von einem unberechenbaren Gott mit einer völlig indiskutablem totalitären Rechtsauffassung? Schuldgefühl bei Depressiven ist meist der Kategorie B zuzuordnen und damit als Sündengefühl mehr Angstgefühl. Angst vor Strafe: B-Angst. Ein schönes Beispiel ist Evas Apfelklau. Bibelgott hätte es nicht ausgereicht, dass sich Eva bei ihm entschuldigte und ihm einen anderen Apfel zurückgab. Oder zwei. Schon der kleinst denkbare  Diebstahl, eine Bagatelle also, löst beim Gott der Bibel einen Amoklauf aus. Er wird vor Zorn verrückt.  

 

Das so genannte „schlechte Gewissen“ plagt depressive Menschen ständig, unsere wirklich barbarischen Zeitgenossen dagegen kaum. Die sind „gewissenlos“. Auch hier muss zwischen A- und B-Gewissen unterschieden werden. Depressive haben ein enges „B – Gewissen“. Es ist religiös überhöht: Sie fühlen sich sündig. Die Sünde wurde ihnen in der Hauptsache nicht von den Eltern, sondern kirchlich eingeredet: Sie sind als Kinder auf billige Kirchentricks hereingefallen. Der billigste ist die eingeredete Schuld an einem Foltermord. Sie sollen durch ihre Schlechtigkeit und Sündhaftigkeit Mittäter an Jesu Kreuzigung sein. Dabei ist Jesus 2000 lange  Jahre schon tot. Das lehrt uns die Staatsanwaltschaft Freiburg im Jahr 2014. Das schlechte Gewissen des Christen ist nötig, damit er ein gutes Gewissen hat. Mit einem guten Gewissen wäre er Sünder und nicht genügend demütig. Ein fabelhaft funktionierender Kirchentrick. Die Kirchen, und das ist ihre Sünde, haben es verstanden, unseren Kindern ein humanistisches Gottesbild und damit das wirkliche Evangelium vorzuenthalten. Holen wir das also ganz schnell nach.

 

Eine seltene Bestätigung meiner Auffassung von fachlicher Seite fand ich im Buch von Verena Burgbacher und Carola Eißler: „Schluss mit dem schlechten Gewissen“, Herder: „Theologisch betrachtet hat „Gewissen“ immer etwas mit der Vorstellung von „Gott“ zu tun“, so die Autorinnen. Eine Patientin berichtet im Büchlein, Gott sei ihr übermächtig vorgekommen und als einer, der „genau überwachen … konnte…“ Wir alle stünden „mit jeder unser Handlungen in Gefahr, die göttliche Ordnung zu verletzen“. Daraus ergebe sich ein unerfülltes und unwertvolles Leben ohne die Option „auf einen Platz im Himmel“. Sie meint natürlich, dass sich ein Platz bzw. eine Option ergibt für die Hölle. Hier werden also wertvolle Leben durch Kirche zerstört. Da wir nach Kirchendoktrin alle ewig leben, nehmen die, die keinen Platz an der Sonne bekommen, auf ewig in der Hölle ihren Platz ein. So denken die meisten unserer Kinder! Unser Bibelgott, diese Projektion barbarischer Menschen, kennt leider keine mäßig temperierten Zwischenstockwerke.

 

Zu allem Unglück scheinen sich Stress, Ängste und Depressionen auch negativ auf das ganze weitere Leben und sogar das Erbgut (DNS) auszuwirken. Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes haben gezeigt, dass nachgeburtlicher Stress und Angst, hier Trennung von der Mutter, bei Mäusen einen Genabschnitt hemmt, der als Ausschalter des Vasopressin-Gens dient. Es kommt so zu einer lebenslangen Überproduktion des stressverstärkenden Botenstoffes Vasopressin. Die Regulierung der Gene ist somit wichtiger als die bloße Ausstattung damit. Stress lässt aber auch Methylgruppen an die Erbsubstanz andocken. So wird eine neue DNS – Struktur an die Tochterzellen weitergegeben und auf diesem Wege leider weitervererbt. Wenigstens bei Mäusen. So würde eine depressive Gesellschaft immer depressiver. Nun, sie wird immer depressiver. Heilpraktikern ist lange bekannt, dass essentieller Bluthochdruck auf emotionalen Dauerstress zurückzuführen ist. Vasopressin treibt im Prinzip den Blutdruck in die Höhe. Es hemmt die Wasserausscheidung und erhöht im Experiment den Blutdruck. Auch beim Menschen.

 

Ständige Angst vor Sünde führt Depressive in den Zwangszustand der „Nachahmung Christi“, die zu allem Übel von der Kirche noch verlangt wird. Es führt sie in eine perfektionistische Überforderung, die all ihre Kraft erfordern kann und sie überlastet. Depression und Zwangskrankheit sind nicht sauber zu trennen. Wir haben es hier mit Symptomen und nicht mit Definitivdiagnosen zu tun. Während Fritz Riemann in „Grundformen der Angst“ noch äußert, Glaube gebe dem Leben der Depressiven Sinn und trage sie, identifiziere ich den Glauben der Patienten als deren Krankheitsursache. Auf Seite 102 äußert Riemann dann zwar keine Kirchenkritik, so weit geht er nicht, aber er sieht Dinge immerhin kritisch: „In der Ethik“ nehme der Depressive „Gebote und Verbote zu wörtlich, fühlt sich dadurch überfordert und in seiner Schuldgefühlsbereitschaft bestärkt.“ Statt: „in der Ethik“, sage ich: „in der Kirche“. „Entsagung, Verzicht, Opfer und Askese“ würden den Depressiven charakterisieren. Das stimmt. Depression ist ein Symptom eines religiösen Masochismus, wie wir ihn von Ödipus und Prometheus kennen. Man bietet seinem Gott im Austausch an die ewige Hölle schon mal eine der Hölle ähnliche Strafe auf Erden an. Man gönnt sich psychische Gesundheit nicht. Die Ursache derartiger Selbstüberforderung ist als Kind eingeredete Höllenangst, der Weg zu dieser Überforderung geht über das Schuldgefühl B. „Selig jene, die dulden“, meint Franz von Assisi dazu, ein Spezialist auf diesem Gebiet. Irgendjemand fügte ihm die fünf Jesuwunden regelmäßig bei.  Aber wer? Er selbst?  Ich war es jedenfalls nicht.

Zu trennen ist die endogene von der reaktiven Depression. Doch auch dort gibt es Überlappungen. Schlingensief erkrankte an einem bösartigen Tumor. Es resultierte eine reaktive Depression auf diese Diagnose hin. Er meinte, Gott habe diesen Tumor geschickt. Er hadert mit Gott. Hier kommt die "endogene Komponente" mit hinein. Gott straft nach kirchlichem Dogma mit Krebs wegen einer Sünde – oder er schickt eine Erkrankung  zwecks grausamer "Testung" des Gläubigen. Woran litt Schlingensief mehr? An der Krebserkrankung oder an dem ihm eingeredeten Gottesbild?

Stirbt ein Kind einen Unfalltod, so haben Eltern den Verlust zu beklagen und sind depressiv. Zusätzlich belastet sie eine eventuelle Schuld A, bzw. eine Sünde, eine Schuld B. Haben sie wirklich immer und genug auf das Kind aufgepasst? Haben sie es genug vor Gefährlichem gewarnt? So hat der Gläubige doppelt oder dreifach zu tragen: Am Verlust selbst, einer objektiven Schuld und an einer eventuellen Sünde, an einer Schuld B.  Strafte gar der so allmächtige Gott die Eltern mit dem Tod des Kindes?

Aber urteilen Sie selbst. Sehen Sie sich nun einige Krankheitsbilder bei bekannten Persönlichkeiten mit Depressionen unter diesem Link an. Es liegen dort ja biografische Berichte vor, die subtile Einzelheiten über diese Personen offen darlegen und eine posthume Analyse bzw. Psychoanalyse durchaus ermöglichen. Psychoanalyse ist im Grundsatz erst einmal schlichte Anamnese, also die Erhebung der Krankengeschichte. Man muss herausfinden, wo und wie der Betroffene missbraucht wurde. Wenn das nicht gelingt, und es gelingt oft nicht, setzt man den Missbrauch voraus. Wir alle, die wir in Kirchen erzogen wurden, wurden in diesen Gemäuern psychisch missbraucht.

  

 

3 Antworten auf Ursachen der „endogenen“ Depression

1. pinetop sagt:

9. September 2014 um 14:04

Dr. Sacco hat die Freud´sche Psychoanalyse vollkommen mißverstanden. Er hat nämlich nicht erkannt, dass Freud eine naturalistische Erklärung psychischer Probleme angestrebt hat. Darüber ob ihm dies gelungen ist, kann man natürlich streiten. Die Aussagen von Freud über die Religion sind durchaus zutreffend (Vgl. Sigmund Freud, Über die Weltanschauung, in: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Frankfurt 1978). Auch die Feststellung, dass psychische Probleme ihren Ursprung in der Kindheit haben erscheint mir fast immer bestätigt. Die Freud´sche Begrifflichkeit passt aber nicht mehr in die Gegenwart, wahrscheinlich ist sie ein Produkt der Intellektuellen im Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts.  

2. pinetop sagt:

9. September 2014 um 14:14

Es gibt keinen Zweifel an der Existenz ekklesiogener Depressionen. Es ist schon putzig zu lesen, wenn Gott mit Eigenschaften ausgestattet wird, die ihn nicht als Verursacher erscheinen lassen. Um den Glauben an den guten Gott aufrecht erhalten zu können, nimmt man auch einen Konflikt mit der Amtskirche in Kauf. Kennt man ja schon von Drewermann.

Vor einem Psychotherapeuten, der gleichzeitig gläubig ist, kann man nur warnen. So wird das nichts mit der Therapie. 

3. Wilfried Müller sagt:

22. Februar 2016 um 08:05

Nicht nur von Seiten der Religion droht Bedrängnis, auch von Seiten der Politik. Dazu äußert sich Dennis Riehle in einem Kommentar vom 20.2.:

 

Selbsthilfe: „Depressionen haben keinen Terminkalender…“

Kritik an Einigung zum Pauschalisierten Entgelt in der Psychiatrie

Spitzenpolitiker der Großen Koalition haben sich in Berlin auf wesentliche Eckpunkte für das „Pauschalisierte Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik“ (PEPP) geeinigt. Die Gesundheitsexperten von SPD und Union verständigten sich darauf, dass die Vergütung von Leistungen in der stationären Behandlung und Pflege von Menschen mit psychischen Erkrankungen künftig daran orientiert wird, ob die Einrichtung nach modernsten Standards arbeitet. Bundesgesundheitsminister Gröhe konnte noch nicht beziffern, welche Kosten die Reform mit sich bringen werde. Insbesondere sollen aber Verbesserungen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gewährleistet werden, um sogenannte „Drehtüreffekte“ zu vermeiden. Diese negative Auswirkung ist eine Befürchtung, die bereits im Vorfeld der nun schrittweisen Einführung des Entgeltsystems aufkam. Als Selbsthilfegruppenleiter und Betroffener kenne ich das psychiatrische und psychosomatische Gesundheitswesen seit langem. Und ich habe seit der testweisen Phase von PEPP, die in den letzten Jahren startete, gerade dieses Phänomen immer öfter feststellen müssen: Patienten wurden entlassen, müssen aber bereits in den folgenden Tagen wieder eingeliefert werden – nur aus Gründen der bürokratischen Abrechnung, die aus dem Entgeltsystem resultiert. Denn wer meint, Menschen pauschalisieren zu können, wird damit stets fehlschlagen.

Was in der somatischen Behandlung schon Alltag ist, kann überdies nicht ohne Weiteres auf die psychiatrische Betreuung projiziert werden: Was Herr Gröhe mit höheren medizinischen Standards als Bereicherung verkaufen will, ist in Wahrheit der Druck auf die Kliniken, Patienten „besser“ im Sinne von „schneller“ zu therapieren. Denn nur diejenigen der Krankenhäuser, die es schaffen werden, durch angeblich qualitativen Fortschritt auch in den von der Politik festgelegten, generalisierten Zeitfenstern für bestimmte Krankheitsbilder den Patienten zu entlassen, werden belohnt. Doch Depressionen haben eben keinen Terminkalender, um zum Stichtag, den sich Krankenkassen oder Ausschüsse gern wünschen, auch wieder zu verschwinden. So ist es in der Psychiatrie nicht möglich, pauschal einzuschätzen, wann ein Betroffener so weit gesundet ist, um wieder aus der stationären Betreuung nach Hause geschickt werden zu können. Das mag bei einer Blinddarmoperation oder auch einem einfachen Armbruch abzusehen sein; die Seele braucht aber Zeit, um wieder fit zu werden. Und wenngleich Kostendruck und immer höhere Ausgaben auf dem Gesundheitssystem lasten, so wird sich gerade durch den „Drehtüreffekt“ eine ganz neue und sicher nicht unerhebliche Steigerung der finanziellen Aufwendungen zur Behandlung psychisch Kranker ergeben, die die Einsparungen durch PEPP zunichtemachen.  Denn bereits jetzt sehe ich in meiner praktischen Arbeit: Wird ein Patient deshalb entlassen, weil für sein Krankheitsbild nur die Zahlung eines stationären Aufenthalts für einen bestimmten Zeitraum vorgesehen war, wird er mit großer Sicherheit schon bald wieder in alte Muster zurückverfallen.

Neben dem Bild vom „blutenden Patienten“, das wir aus der Somatik kennen, der noch am Tage seiner Operation mit offener Wunde vor die Tür gesetzt wird, weil das Krankenhaus das Bett für den nächsten Erkrankten bereitstellen will, zu welchem eine neue „Fallpauschale“ abgerechnet werden kann, ist auch die  Vorstellung, dass wir mit psychischen Kranken künftig ähnlich verfahren wollen, mindestens gleichsam beängstigend wie würdelos. Denn wenngleich Gesundheitspolitiker wie Prof. Lauterbach versprechen, dass mit PEPP auch dafür gesorgt werden soll, dass der Übergang vom stationären in den ambulanten Bereich reibungsloser verläuft, versteckt sich dahinter Klientelpolitik zugunsten des Profitinteresses einer zunehmend privatisierten Gesundheitsbranche. Denn wer Vernunft und Anstand wahrt, muss eingestehen: Ein Patient kann erst dann entlassen werden, wenn es sein Zustand erlaubt – und nicht, wenn die Uhr das Auslaufen der Pauschale ankündigt. Deshalb erlebe ich bereits heute, wie der ambulante Bereich nicht selten mit den Konsequenzen von PEPP überlastet wird. Und damit sind aber keineswegs nur Psychotherapeuten und niedergelassene Fachärzte, sondern vor allem auch das niederschwellige Versorgungssystem gemeint. Es ist unbestritten: Die Mehrheit der Patienten möchte ein  (psychiatrisches) Krankenhaus so rasch wie möglich wieder verlassen und in die gewohnte Umgebung zurückkehren. Gerade in der Behandlung seelischer Störungen ist der Bezug zum sozialen Umfeld von großer Bedeutung, um baldmöglichst wieder selbstständig leben zu können. Und es ist zweifelsohne lobenswert, dass eine Verzahnung ambulanter Dienste mit dem stationären Gesundheitswesen gestärkt werden soll, um den Übergang zurück in den Alltag und einen möglichen Rückfall in die akute Krankheitsphase zu vermeiden.

Doch all das wäre auch möglich – und gelänge mit Sicherheit wirkungsvoller -, wenn individuell entschieden würde, wann ein Patient tatsächlich so weit stabilisiert ist, dass er guten Gewissens in die niedergelassene Betreuung übermittelt werden kann und vor allem zur weiteren ambulanten Therapie und Begleitung fähig und motiviert scheint. Denn nicht nur, dass besonders bei psychischen Gebrechen aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren ein typischer Verlauf eines Krankheitsbildes kaum vorhergesagt werden kann; ein pauschalisiertes Entgeltsystem wird gerade im Bereich seelischer Leiden der steten Komplexität persönlicher Lebenslagen nicht gerecht. Ein Solidarstaat bedeutet nämlich auch, nach Bedürftigkeit und Notwendigkeit, nicht nach Erfahrungswert oder Pauschalen zu entscheiden und Hilfestellung zu gewährleisten. Dass mir bei all den Entwicklungen nicht verborgen bleibt, wonach vom Patienten gleichsam Eigeninitiative gefordert wird, ist der Tatsache einer kontinuierlich steigenden Beanspruchung der ehrenamtlichen Unterstützung geschuldet. Erinnere ich mich gut, wie ich zu Beginn meiner freiwilligen Selbsthilfearbeit mit 10 Personen im Monat Kontakt hatte, die bei mir Rat suchten, ist es heute dieselbe Zahl innerhalb von drei Tagen. Und nicht selten sind darunter Betroffene, die aus der stationären Behandlung in einen luftleeren Raum ohne Halt entlassen werden. Ob sich dieser Zustand durch eine Vernetzung der Strukturen verändern lässt, bezweifle ich nicht nur aufgrund meiner Wahrnehmung, wonach man die Zumutung an die Zivilgesellschaft für verkraftbar zu halten scheint: Selbsthilfe wird im besten Wortsinne zum Garant dafür, Patienten „im Regen stehen zu lassen“. Als ehrenamtlicher Ansprechpartner komme ich an meine Grenzen, wenn PEPP dazu beitragen wird, dass sich der Staat weiter aus der Verantwortung entzieht, die ihm eigentlich nach Art. 20 GG obliegt: die garantierte öffentliche Gesundheitsversorgung. Und bei all den Aussichten auf eine wachsende Zahl der psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft ist das keine beruhigende Perspektive.

Daher wird sich auch Minister Gröhe den Vorwurf gefallen lassen müssen, sich eher um die Folgen, statt um die Ursache einer derartigen Entwicklung zu bemühen. Denn die Tendenzen sind spätestens seit den 90er-Jahren klar – und hätten frühzeitig ein Warnsignal sein müssen: Gerade die seelischen Störungen, die durch äußere Umstände beeinflusst werden, treten immer häufiger zu Tage. Und das aus meiner Sicht nicht ohne Grund:  Eine ökonomisierte und globalisierte Leistungsgesellschaft bringt nicht nur Menschen mit schwachen Nerven an die Grenzen der psychischen Belastungsfähigkeit. Die Frage, weshalb bei ankletternden Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung nicht zunehmend auch die Unternehmen beteiligt werden, die auf Kosten der Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter Profite eintreiben, konnte mir bis heute nicht beantwortet werden. Und zusammenfassend bleibt beim Eingestehen, dass eine Reform von Vergütung wie auch Abrechnung der Leistungen im Gesundheitswesen nötig ist, um Gerechtigkeit und Ehrlichkeit zu stärken und Missbrauch zu verhindern, vor allem die Forderung aufrecht: Transparenz schafft man nicht durch das pauschalisierende Kürzen, sondern durch Offenheit im Umgang mit finanziellen Mitteln. Individualisierung ist auch ohne mehr Bürokratie möglich – wenn man es nur möchte, einzig und allein um des Patienten willens…

 

Dennis Riehle, Selbsthilfeinitiative Zwangserkrankungen, Phobien, psychosomatische Störungen und Depressionen im Kreis Konstanz, Mail: info@zwang-phobie-depression.de

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