Das brave Kind Acryl  2011

 

 

Das brave Kind                                                 von Frank Sacco

 

 

 

Das brave Kind ist oft eine Diagnose. Man erkennt so ein Kind  recht schnell. Es ist still, aufmerksam und halt brav. Es will nichts verkehrt machen, auch nicht im zwischenmenschlichen Umgang. Es hat früh hohe ethische Qualifikationen.  Letzteres fiel Freud bei seinen Patientinnen auf, die eine Neurose hatten. Gerade die machten sich über die kleinsten Kleinigkeiten die größten Vorwürfe. Das kindliche Brav sein ist also oft das Frühsymptom einer späteren Erkrankung. Man sollte sogleich psychotherapeutisch behandeln. 

Nun, brav ist man als Kind, weil man Angst hat. Meist nicht vor dem Vater, der  kommen soll, das Kind zu schlagen oder zu „kastrieren“. Mädchen haben ja gar keinen Penis. Nein, das Kind hat von Gott und Jesus gehört. Und von einem Geist. Diese Drei sind zum einen äußerst pingelig, was auch nur kleine Fehltritte anbelangt. Es bildet sich beim Kind ein „enges Gewissen“ aus. Ein lebenslanges Gefängnis. Schon kleine egoistische oder sexuelle Gedanken bemerken die Götter und schreiben sich das in das große Stundenbuch, um auch ja nichts zu vergessen. Zum anderen sind sie auch überhart in ihren Strafen. Die Hölle, das weiß ein braves Kind, ist sehr unangenehm. Da ist es nach der Bergpredigt weniger leidvoll, man reißt sich ein Auge aus oder hackt sich eine Hand ab, als ewig in Jesu  „Feurigem Pfuhl“, im „Höllischen Feuer“, wie es unser Bibel-Jesus in der Bergpredigt formuliert,  zu rösten oder zu kochen. Den Pfuhl kennt das Kind von Bildern her. Wie lange dauert die Ewigkeit, der Pfuhl? Das  will das Kind eines Tages vom Pastor wissen.

 

Nach dessen Antwort ist das Kind  dann brav. Brav für immer. Denn die Mutter klärt ihr Kind nicht auf, dass es die Hölle gar nicht gibt. Dass die Hölle bösartige Reklame ist. Ein Geschäft mit der Angst. Sie glaubt ihr Kind in Kirchenhänden, bspw. im christlichen Kindergarten gut aufgehoben. Das brav gemachte Kind  ist nicht etwa aus Einsicht brav, es ist es aus Angst. Da diese Angst im Unbewussten bis ins Erwachsenenalter persistiert, kommt es irgendwann zur Neurose. Die hat  eine „Sünde“ zur Voraussetzung und deren Verdrängung. Verdrängung ist aktives Vergessen. Doch nur das Bewusstsein hat „vergessen“. Nicht das Unbewusste. Das vergisst nie. Man kann nun entweder analytisch (wie Freud) nach der Sünde forschen, oder man führt gleich die beiden Götter ad absurdum, wie es in der von mir vorgestellten  Ecclesio-Adversativen Therapie geschieht. Die kann endgültig heilen, wohingegen das Herausfinden der Sünde immer nur bezüglich  dieser Sünde heilt - nicht  aber bezüglich der weiteren. 

 

In der EAT wird  erklärt, was ein Sacco-Syndrom ist. Und es wird aufklärerisch vorgegangen: Der so sündenfreie Jesus werde sich ja nicht dazu herablassen, „schlimmer als Hitler“ in seiner Hölle zu wüten. So ist er nicht, schlimmer als Hitler. Aber so wollen ihn die Kirchen haben. Ihre Drohungen mit jenseitigen Strafen sind ihr „Geschäft“, so Bischof N. Schneider im Der Spiegel 43/2014. „Sie ficken nicht nur mit dem Schwanz, sie ficken uns auch mit der Hölle“, so ein Patient, der beides erlebt hatte. Der Hitlervergleich stammt übrigens aus dem betanien-Verlag. Dessen Partner ist das Erzbistum Paderborn. Bis 6000 Grad könne es Jesus in seiner  Unterwelt heiß werden lassen. Unter Hitler habe es ja noch „Trost“ gegeben. Den werde man aber unter Jesus vermissen, so der Kirchenautor Hans-Werner Deppe. 

Angst vor der Hölle, übrigens die größte Angst des Menschen, sozialisiert so stark wie keine andere Angst. Das hören unsere Soziologen so ungern. Doch sie füllt auch, und das hören unsere Psychotherapeuten mit deutlichem Widerwillen, unsere Psychiatrien. Für beide Berufszweige gibt es jetzt eine Aufgabe: Die Soziologen sollten angstfreie Wege zur Sozialisation der  Bevölkerung aufzeigen, und die Psychiater tablettenfreie Wege zur Angstreduktion.  Oder sind gar Wege zur Abschaffung religiöser Ängste denkbar? Ja.  Dazu müsste man sich allerdings gegenüber den Kirchen, dem größten Arbeitgeber der Therapeuten, emanzipieren und auch seine eigene Gottangst überwinden. 

 

Nicht alle Kinder kriegt man aber brav. Es gibt aufsässige, kämpferische Persönlichkeiten unter ihnen. Die verfluchen schon mal „Gott“ in der Kirchenbank. Recht so, wollen wir Aufgeklärten da rufen, denn diese Type verflucht und foltert ja auch uns Menschen. Und erfindet mit der Sintflut den Holocaust. Auf die kampfeslustigen Kleinen wartet oft eine andere Erkrankung: die Schizophrenie. Wo der Neurotiker verdrängt, muss der zunächst kampfbereite Schizophrene dann in eine andere Wirklichkeit flüchten. Er baut die Realität um. Der Wahn wird sein ihn schützender Wall.

Der Mensch hat als einziges Lebewesen eine besondere Affinität zur Angst. Denn er weiß um die Sache Folter. Und nur er weiß um die Sache ewige Folter. Das nutzt der Klerus gnadenlos aus. Er ist beides:  hochintelligent und brutal.  So ist der Mensch gezwungen, möglichst  „erfinderisch“ dieser Angst zu entfliehen. Versteht ein Kind sehr früh, was es in der Ewigkeit erwarten könnte, verstummt es oft ganz. Es wird zum Autisten. Oder es ergreift die Flucht in die Hyperaktivität. ADS, ADHS. Kommt die aufgezwungene „Erkenntnis“ erst später, gleitet ein Patient oft in eine Sucht ab. Man säuft oder raucht sich tot. Oder man gibt sich den finalen Schuss. Doch der christliche Glaube verhindert oft den „erlösenden“ Suizid. Der soll nach dem Dogma die beiden Götter veranlassen, zu noch härteren jenseitigen Foltern zu greifen.

 

In Ewigkeit Amen.