Rainer Maria Rilke, geb. 1875

 

Rilkes Leben war ein Leben in seiner Zeit. Seine Mutter war noch konservativ fromm. Maria nannte sie ihren Sohn und hat ihn als Sohn vielleicht zunächst abgelehnt. Sie hatte sich eine Tochter gewünscht. Jedenfalls steckte sie ihn gleich in Mädchenkleider. Die Zeit brach aber gerade um und wurde in wenigen Jahren - im Gegensatz zu der unsrigen mittelalterlichen - fortschrittlich und aufgeklärt. Rilke und seine Zeit (Freud, Schopenhauer, Nietzsche) bekämpften mutig einen konventionellen Glauben, aufgezwungen von einer gewissenlosen Kirche. Einen Glauben, der millionenfach in ein Sacco – Syndrom mündet.

 

Zwangsläufig resultierten, indem diese kinderunfreundliche Religion oder deren „Gott“ niedergekämpft wurden, Schuldgefühle gröberer Art bei sensitiven Charakteren. Die Ausnahme in dieser Richtung stellte Schopenhauer dar. Analog den Sekten verstehen es die großen Religionen nämlich, innerseelisch Austritts- und Kritikverbote zu etablieren. Da ist man sehr geschickt. Im Jahr 2012 stellten die katholischen Bischöfe Folgendes klar: Wer Austritt und nicht mehr einzahlt, bekommt nicht mehr die Beichte abgenommen, die aber nach der Lehre notwendig ist, um nach gewissen „Sünden“ nicht in die Hölle zu kommen. Wem die Kirche nicht vergibt, dem vergibt auch Gott nicht, so das Dogma dieser Kirche, das sich auf eine Bibeltextstelle bezieht. Das ist ein Taschenspielertrick - aber ein sehr gut gemachter.

 

Nun aber Rilke als wohl nicht zufälliger Übersetzer eines Sonettes von Louize Labé (von 1526-1566) : Aus den 24 Sonetten

 

 

 

Das Vierte

 

Seitdem der Gott zuerst das ungeheuer

glühende Gift in meine Brust mir sandte,

verging kein Tag, da ich nicht davon brannte

und dastand, innen voll von seinem Feuer.

Ob er mit Drohungen nach mir gehascht,

mir Mühsal auflud, mehr als nötig, oder

mir zeigte, wie es endet: Tod oder Moder,

mein Herz in Glut war niemals überrascht.

Je mehr der Gott uns zusetzt, desto mehr

sind unsre Kräfte unser. Wir verdingen

nach jedem Kampf uns besser als vorher.

Der uns und Götter übermag, ist denen

Geprüften nicht ganz schlecht: Er will sie zwingen,

sich an den Starken stärker aufzulehnen.

 

 

 

 

In diesem Sinn! Bei Rilke, der dieses Gedicht übersetzt hat, ergeben sich als Spuren dieses Kampfes gegen seine „Vergiftung“ durch die Religion, durch seinen „Gott“, erhebliche Stimmungsschwankungen. Dessen bewusst, mied er eine feste Beziehung. Eine Ehe in Monogamie hat er nie vollzogen. Außerordentlich wichtig bei diesem Kampf war ihm die enge Freundin Lou Andreas – Salome, geb. 1861. Sie war etwas älter als er und hatte Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte studiert und einen Heiratsantrag Nietzsches abgelehnt. Bei Freud studierte sie in Wien Psychoanalyse. Wie Freud und Nietzsche zur, ich sage einmal katholisch – jüdischen Religion standen, ist hinlänglich bekannt. Das größte Unglück für die Menschheit sei das Christentum, so Nietzsche. Genug Tote hat es produziert. Und es produziert sie weiter. Lou lieh bzw. übertrug Rilke Selbstbewusstsein. „Dein Wesen war so recht die Thür, durch die ich zuerst ins Freie kam“, schreibt er ihr. Sie wusste, entsprechend geschult, möglicherweise um die Folgen eines inneren Gottkampfes. Sie schreibt dem durch Kirche und Kaserne vergewaltigten Rilke im Jahr 1901:

„Das, was du und ich den „Andern“ in dir nannten, - diesen bald deprimierten, bald excitirten, einst Allzufurchtsamen, dann Allzuhingerissenen, - das war ein ihm ((dem befreundeten Psychiater Friederich Pineles)) wohlbekannter und unheimlicher Gesell, der das seelisch krankhafte fortführen kann ...ins Geisteskranke.“

Unsere Lou sorgte dafür, dass Rilke ein Schicksal in ekklesiogener Geisteskrankheit, wie Hölderlin es in vier Jahrzehnten Schizophrenie durchleiden musste, erspart blieb.

 

Überhaupt die Lou! Sie weiß: Die Angst vor Höllenstrafen würde uns "fernliegen" (8. Dez. 1912). Diese Angst ist halt als Kern unseres kollektiven Unbewussten sehr sicher verdrängt. Die Hölle mit der Angst davor sei aber  "im Unbewussten uns aufbewahrt... als unsere ewige Wirklichkeit" (2. Febr. 1913). Damit spricht sie die sog. "Glaubensgewissheit" an, welche die Amtskirchen als "Wirklichkeit" in den Köpfen unserer Kleinen zu implantieren versuchen. Glaube soll, so der Impetus der Amtskirchen,  zu einer "Gewissheit" werden. Bezüglich des Höllenglaubens ist das eines ihrer Verbrechen. Denn der macht krank. Lou erweist sich damit im Gegensatz zu unseren heutigen ("modernen") Nervenärzten noch als gute Analytikerin: Sie weiß noch um den Stellenwert der Hölle in unserem Unbewussten. Da sie es weiß, wird sie auch nicht psychisch krank - im Gegensatz zu einer Vielzahl der heutigen Psychiater. Diese werden aus Unkenntnis ihres Unbewussten krank. Aus dieser Unkenntnis heraus können sie die  meisten ihrer Klienten auch nicht ausreichend therapieren.

 

Nicht nur von der Kirche kam wegen Rilkes neuer Definition eines Gottes, eines „lieben“ Gottes, der Blasphemievorwurf. Diesen haben Verwandte und Bekannte und Rilke sich natürlich auch selbst gemacht, anfänglich verdrängt in seinem Unter- und Vorbewussten.

Er lässt aber von seinem tapferen Kampf um Humanität im Glauben nicht ab. Er schreibt für Kinder und Erwachsene die „Geschichten vom lieben Gott“ und ist damit therapeutischer als unsere heutigen Psychiater, die das Thema Kirche oder „krank durch Kirche“ streng meiden und versuchen, gar mir eine derartige Vermeidung aufzuzwingen. Ein Psychiater verbot mir, mich mit Patienten über Religion und Kirche zu unterhalten. Man dürfe seine Arztposition nicht gegen die Kirche ausnutzen. Man darf es doch. Man darf sogar gegen das Rauchen sein und Patienten über die Folgeschäden aufklären! Die Themen Sünde, Gott und Hölle werden heute nicht mehr bei Psychotherapeuten thematisiert. Patienten mit Kirchenproblemen werden ins benachbarte Zimmer, in das des Anstaltsgeistlichen verweisen. Dieser macht den Schizophrenen dann deutlich, was Sünde ist und wo sie hinführt. Er betet mit ihnen um Vergebung, um Gnade. Dort, beim Anstaltsgeistlichen, hängt ja so oft noch der angeblich von den Erkrankten persönlich Gegeißelte. Die psychisch Kranken seien an der Kreuzigung „Mittäter“ und damit Täter, so die offizielle Lehrmeinung. Unser deutscher Benedikt sagt uns: „Mit den protestantischen Freunden teilen wir den Glauben an ... Hölle“. Da Gott, wie er sagt, zu ihm spreche, weiß er anscheinend einiges über dessen Folterkammer. Fragen wir Benedikt doch einfach! Das so genannte Heilige Abendmahl greift Rilke an und lässt „seinen“ neuen Jesus sagen:

 

 

 

„Mein Blut fließt ewig aus den Nagelnarben

und alle glauben es: mein Blut sei Wein,

und trinken Gift und Glut in sich hinein.“

 

 

Wann hören wir endlich auf unsere Dichter? Die EKD-Verantwortlichen ließen in der jetzigen Postmoderne Vierjährigen im neu geschaffenen Evangelischen Kinderabendmahl (unwidersprochen von unseren heutigen Psychoanalytikern, Lou ist leider längst gestorben) das Abendmahl geben, so in einer Hamburger Kita Bisenort, und damit das Blut ihrer Schuld trinken. Sie trinken damit das „Gift“ einer in kirchlicher Suggestion (!) eingeredeten Schuld und erleiden die „Glut“ ihrer eventuell bevorstehenden Höllenqualen, falls ihnen der Pseudoerlöser Bibeljesus diese oder andere Schuld am Tage des Jüngsten Gerichtes aus irgendeinem Grund, z.B. eines Kirchenaustrittes, nicht erlässt. So ein denkbarer „Grund“, der vom Kranken meist verdrängt ist, liegt oft in der Jugend oder Kindheit. Rilke lässt den jungen Tragy im Überschwang sagen: „Über mir ist niemand, nicht mal Gott.“ Ein starker, aber gewagter Ausspruch. Ein sensibles Kind mag sich das übel nehmen, was meinen Sie, lieber Leser? Ist Tragy etwa gar autobiografisch, ist Tragy Rilke?

 

Das evangelisch-lutherische Kind kann sich nicht einmal durch gute Taten oder Geldgeschenke an die Kirche von einer solchen Schuld freimachen, freikaufen. Dem hat Luther völlig an Aussagen der Bibel vorbei, einen Riegel vorgeschoben. Nach Luther kann allein eine eventuelle Gnade Gottes bzw. Jesu es noch vor deren Hölle retten. Und wie es dort zugeht, das sagt uns das Neue, unheilige Testament ja zur Genüge und eindrücklich. Auch unseren Kindern, die ja lesen können: Jesus wird dort foltern, „Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit“, in einem „Feuerofen“. Oder wie man es den Paderborner Kindern zeigt, in Erzbischof Beckers Dom: In einem Suppentopf. Zum Glück kochen unsere Kinder dort nicht alleine. Es schwimmen noch mehrere in dieser Jesusbrühe. Alles, was in Kirchen so an Speziellem vorhanden ist, und das wissen die Kirchenleute und kalkulieren damit, ist für unsere Kinder wahr und „heilig“. So auch der Kochtopf in Paderborn. Ein Kochtopf in einem Museum ist völlig also anders zu bewerten als der in einer christlichen Kirche. Dort gehört er nicht hin. Er ist unevangelisch und ein Instrument der Machtpolitik beider Großkirchen zum Geldverdienen. Kochen darf man in Deutschland (schon tote) Hühnchen, aber keine lebenden Kinder oder angeblich falschgläubige Juden. Dieses Judenkochen auch noch als ethische Glanzleistung hinzustellen, das ist glaube ich sogar heute verboten.

 

Rilke ist mit Glück noch an den härtesten Symptomen eines Sacco – Syndroms vorbeigekommen. Hart war es für ihn aber doch. Zeitweilig, möchte ich sagen. Aber so hat Rainer Maria Rilke, was ich ihm herzlich posthum gönne, statt in einem Turm eingesperrt zu sein, doch noch in ganz vielen warmen Betten gelegen. Mit hübschen und klugen Frauen. Dem Umstand und ihnen, den Frauen, verdanken wir viele Liebesgedichte. Das Leben kann halt auch bunt sein.