Psychiater schweigen zur Religion. Warum?

 

 

Nun wiederholt sich Einiges. Ertragen Sie es. Vieles ist aber auch neu. Das Wort „Helfersyndrom“ geht auf Wolfgang Schmidbauer zurück. Der Helfer fühle sich nicht wohl, wenn er „nicht gibt, was ja auch bedeutet, der Stärkere, der Überlegene zu sein, der die Beziehung kontrolliert.“ Die Helfer „spielten Gott“. „Erlebnisse frühkindlicher Kränkung werden durch hohe Ziele in der Arbeit kompensiert.“ (in „Psychologie heute“, Febr. 2009). „Angst“ habe der Helfer vor einer schwachen Position. Angst wird er auch haben, seine menschlichen Schwächen entdeckt zu sehen. Er verbirgt sich hinter einer Maske vermeidlicher Stärke. Schmidtbauer spricht von einem Zwang zum Helfen. Das Helfen sei also Zwangshandlung im Rahmen einer Zwangsneurose. Viele Therapeuten überforderten sich, so steht es auch in einem Artikel in „Psychologie heute“, März 08. Meist stehe dem gegenüber „ein eher kleinlautes, von Selbstzweifeln geprägtes Ich, das verdrängt werden muss.“

Angst bzw. Höllenangst als mögliche Ursache dieses Zwanges zum Helfen erwähnt Schmidbauer nicht. Ist diese Angst seinem Bewusstsein gar in der von mir beschriebenen Form unbekannt? Ich führe sie hiermit als zweiten möglichen Grund dieser Zwangsneurose in die Diskussion um das Helfersyndrom ein. Bibel-Jesus stellt in der Bergpredigt klar: Nur wer hilft, kommt nicht in die Hölle.

 

Die Psychoanalyse geht davon aus, dass viele Erlebnisse vom Kind als „überwältigend bedrohlich“ erlebt werden, ohne dass es die Bedrohung effektiv abwehren kann. „Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um echte Bedrohungen handelt oder um Fehleinschätzungen des Kindes... Die ins Unbewusste abgeschobenen Bedrohungen bleiben aber... aktiv... ein Leben lang“, so M. Baierl. Tatsächlich und in tragischer Weise nimmt das Kollektiv seinen Kindheitsglauben, so auch den Glauben an die Sintflut, für das ganze Leben als sog. Glaubensgewissheit ins Unbewusste auf. Dieser Meinung ist auch der Philosoph Robert Spaemann. Er sagt im Alter von 83 Jahren: „Ich glaube ungefähr dasselbe, was ich als Kind geglaubt habe....“ Papst Benedikt XVI. sagt daraufhin: „Ich würde das ähnlich sagen“. Na also!

M. Baierl weiter: „Ausschlaggebend ist dabei der subjektive Grad der Bedrohung. Bei Jüngeren kann dies auch durch Geschichten..., die als real erlebt werden, geschehen... Das Trauma wird oft nicht als zusammenhängendes Ereignis erinnert, sondern als unzusammenhängende Einzeleindrücke (Fragmentierung)...

 

Dies führt dazu, dass über das Erlebte manchmal nicht gesprochen werden kann, Erinnerungen fehlen...“

 

Die moderne Hirnforschung belege, „dass ...fast die komplette menschliche Informationsverarbeitung unbewusst geschieht“.

Aber: Baierl selbst sieht als Psychologischer Psychotherapeut nicht, dass Kirche im Leben eines jeden betroffenen Kindes ein Problem ist, dass viele Kinder es nicht verkraften, wenn ihnen in einer Kirche mit einer eventuellen Höllenstrafe gedroht wird. Im Gegenteil, er sieht die Kirche gar als Schutzfaktor an. Eine Einbindung in eine Religionsgemeinschaft wird beschrieben als Resilienzfaktor bei psychischen Störungen, ja sie sei „eine der stärksten Schutzfaktoren“ (in „Familienalltag mit psychisch auffälligen Jugendlichen“, Seite 192). Auf die Idee einer offenen Kritik der bestehenden Kirchenpraktiken kommt er nicht. Was hindert ihn daran? Sein Unterbewusstsein?

 

Baierl liest sich an diesem Punkt etwa wie Viktor E. Frankl in seinem Buch „Der unbewusste Gott“: „...so ist es doch so, dass sie (die Religion, der Verf.) in ihren Resultaten – und nicht ihrer Intention nach – psychohygienisch, ja psychotherapeutisch wirksam wird, indem sie dem Menschen eine Geborgenheit und eine Verankerung sondergleichen ermöglicht, die er nirgendwo anders fände, die Geborgenheit und die Verankerung in der Transzendenz, im Absoluten.“ Wusste Frankl nicht, dass beide Kirchen als Absolutkonstante für alle unsere Kinder noch die Hölle fest im Programm ihrer so gepredigten Transzendenz haben? „Per effectum“, so heißt es auf Seite 61, führe Religion zu einer „seelischen Heilung“. Wie wir jetzt nach dem Buch "Das Sacco-Syndrom"  wissen, führt sie aber auch zu den schwersten seelischen Erkrankungen, die wir überhaupt kennen.

 

Was sagt uns der Vielautor Peter Schellenbaum, den ich hier erneut zitiere, zu diesem schwerwiegenden Problem unserer Psychiatrie, zu ihrem schwersten Kunstfehler?

„Die einzige Moralvorschrift, die bei allen Christen so viel gilt, dass sie nicht einmal ausgesprochen wird, lautet: Du darfst an der moralischen Vollkommenheit des Menschen Jesus nicht rütteln... Dieses Tabu ist heute die wirksamste Waffe des christlichen Gottesbildes, sich gegen Wandlungen zu wehren... Dass auch die Tiefenpsychologie dieses Tabu in Bezug auf Jesus noch kaum angegangen hat, ist schwer verständlich.“

 

Schellenbaum schrieb mir, auch ihm sei es „ein Anliegen,...auf den seelischen Missbrauch der Kirchen hinzuweisen“!

 

Nun, meine Erklärung ist ebenso schlüssig, einfach, verständlich und vielleicht auch schmerzhaft für die Betroffenen. Diesen Schmerz kann ich ihnen aber jetzt nicht mehr vermeiden. Es wird über Schellenbaums Äußerung deutlich, dass die Tiefenpsychologie, deren Vertreter sich meist als Agnostiker oder Atheisten sehen, sich meist streng an das christliche Tabu hält. Warum? Sind Tiefenpsychologen Gläubige, gar der harte Kern der orthodox Gläubigen, ohne es zu wissen? Ludwig Feuerbach hält tatsächlich den Atheismus für das „Geheimnis der Religion“ und gleichzeitig für den wahren Humanismus. Auch die Doktorarbeit von Frau Hofmann beweist eine unerwartete Tiefgläubigkeit unserer Psychiatrie.

Haben Psychiater Angst vor dem Tabubruch Gottkritik? Angst vor den Folgen? Angst vor der Hölle? „Ein Tabu rächt sich selbst“, und es rächt sich schrecklich, sagt S. Freud. Dies ist ein Satz, den jeder Psychiater kennt und der nahezu jedem Psychiater Angst machen wird. Ich wollte einmal einen mir zur Betreuung von der Behörde zur Seite gestellten Psychiater im Beisein eines Zeugen in ein Gespräch über religiöse Schuldgefühle verwickeln. Beinahe flehend riss er die Arme wie zur Abwehr hoch: Geschädigt sei er. In seiner Familie habe es so viele Geistliche gegeben, dass er sich mit Religion nicht mehr befassen könne. Ich hatte Mitleid mit ihm. Eine angstbedingte Zwangsneurose zwang ihn als Vertreter der sprechenden Medizin zum Schweigen. Jetzt verstehen wir aber: Psychiater gingen als sehr empfindsame Menschen nach Prägung durch ihre Kirche nicht den Weg in die Depression oder eine Psychose. Ihre „Rettung“ vor der ihnen angedrohten Hölle bestand möglicherweise im „Altruismus“. Bibeljesus schlägt den Gläubigen diese Art der Rettung in der Bergpredigt ja als einen probaten Weg der Höllenvermeidung vor. Und kennt nicht jeder die Bergpredigt?

 

Aus dem helfen Wollen im Bewusstsein unserer Helfer wird ein Muss zum helfen. Das müssen sie in ihrem sie dominierenden Unbewussten. Es ist der eigentliche Kern ihres Helfer-Syndroms. Einen Vorwurf an die Adresse unserer Psychiatrie, sie sei in kirchenkritischen Fragen stumm, kann es daher bis heute nicht unbedingt geben, wenn man sie als krank betrachtet. Kranke sind nicht unbedingt schuldig. Die Perfektion, mit der Helfer das Thema Religion vermeiden, hat durchaus zwangsneurotische Züge. Einfacher ausgedrückt:

 

Es ist eine Zwangsneurose,

 

die auch dadurch resultiert, dass man sich Freuds Gottesmord (Freud: „Religion ist Wahn“) unbedarft anschloss und damit der größten „Sünde“ überhaupt. Der Zwangsneurotiker mit Versündigungsideen legt sich die Welt so zurecht, dass er keine Angst haben muss. In diesem Fall verbietet sein Unbewusstes ihm jegliche Gott- und Jesuskritik, die er unterbewusst als größte Sünde überhaupt einstuft. Denn das „höchste Gebot“ Bibelgottes lautet ja: „Du sollst mich lieben!“ Und er meint damit auch: „...und nicht kritisieren.“ Dass Psychiater ohne es zu wissen an die Hölle glauben, weiß C. G. Jung: Im Buch „Zur Psychologie der Tricksterfigur“

 

wettet er hundert gegen eins, dass auch der aufgeklärteste Mensch, also auch der aufgeklärteste Psychiater, an den Teufel mit seiner Hölle glaubt.

 

Nun, er hat seine Wette wohl gewonnen Nur äußerlich sei man da ein „Kulturmensch“ und es helfe nichts, „dass wir mittels des Geistes uns über die Psyche“ zu stellen versuchten. Der Grad der Unbewusstheit sei allerdings „gelinde gesagt, erstaunlich“.

 

Ein Beispiel eines weniger durch Kränkung als vielmehr durch über Drohung entstandener Massivangst ausgelösten Helfersyndroms gebe ich Ihnen jetzt. Der 2011 verstorbene Psychologe Wolfgang Bergman, Hannover, spricht in einem seiner letzten Interviews (Quelle „Die Welt“, 24.5.2011) über seine Biografie. Er sei in eine „Falle“ gerannt. „Das kam weniger von den Eltern, sondern als Anspruch an mich selber. Weniger als sehr gut zu sein, wäre eine Kränkung gewesen. Und die habe ich nie erlebt. Die Kränkung stand als Drohung... schwarz im Türrahmen. Und diese schwarze Gestalt hat mich verfolgt, in anfälligen Phasen Tag und Nacht.“ Es wird hier deutlich, dass ein Psychologe entgegen jeder Logik an dem vermeintlichen Schaden Kränkung festhält, obgleich sie nie stattfand. Die Kränkung war gar keine. Die Schädigung bestand in einer Drohung. Was da aber droht, ist ja meist das Über-Ich und welcher Anteil des Über-Ichs da bedroht, ob das Eltern- oder das Gott-Ich, ist dem Kind und später dem Psychologen völlig unklar. Die Eltern mögen freundlich gewesen sein, das aus der Bibel resultierende Gott-Ich ist dagegen maximal sadistisch bis hin zum heute noch nicht von „Gott“ aufgehobenen Steinigungsbefehl, bis hin zur heute offen ausgesprochenen Feuerhöllenandrohung. „Weniger als sehr gut zu sein“, leitet unsere Helfer in die „Falle“ einer Strafandrohung, die in Kindertagen immens ausgefallen sein muss, um so ein ganzes Leben zu bestimmen, um sie das ganze Leben zu „verfolgen“. Narzissmus (des Helfers) ist in Wirklichkeit Sadismus des eigenen Gottes und damit eine Bedrohung, die die sprechende Medizin an dieser Stelle stumm macht. Das „Gut“-sein hat übrigens Doppelsinn. Es bedeutet fachliches und ethisches Gutsein und es resultiert ein ungeheurer Leistungsanspruch an die eigene Person. Hier ergeben sich unbewusste Gewissenskonflikte: Das fachliche Gutsein ist blockiert durch kirchlich aufgezwungenes Schweigen bei religiösen Schäden der Patienten, das völlige ethische Gutsein durch Schweigen zu deren Gewaltgott: Ein Hitleräquivalent bleibt im Wesentlichen in der Sprechstunde unkritisiert: Eine „Gott“- bzw. „Jesus“-kritik muss Psychiatern erst ein sehr gläubiger Internist formulieren. Die völlige und pathologische „Toleranz“ für die unrühmlichen Taten Bibelgottes (Sintflut, Sodom und Gomorrha) ist aufgezwungen.

 

Übrigens:Der Berufsstand unter uns Ärzten, der am häufigsten seelisch erkrankt, ist der unserer Seelenärzte. Sie sind selbst ihre besten Kunden. Das möchte ich mit diesem Buch ändern. Sie sind nicht krank, weil sie sich über seelische Probleme mit Patienten unterhalten, denn das tun wir Hausärzte ja auch. Krank sind sie, weil sie es als sensible Menschen unqualifiziert ohne fachgerechte Ausbildung tun.

 

Diverse Male habe ich dieses Problem bei psychiatrisch tätigen Helfern angesprochen und immer eine Abfuhr bekommen. Man reagierte mit eisigem Schweigen. Ein langer Brief im Jahr 2009 an die DGPPN in Berlin, in dem ich dringend Antwort einforderte, blieb ebenfalls unbeantwortet. In jener denkwürdigen Kammersitzung am 17.11.2009 bestätigte mir Frau Dr. Goesmann (im Protokoll festgehalten) mit einem Kopfnicken die Kenntnis dieses Briefes.

 

Es ist davon auszugehen, dass unsere Helfer durch die Kirchen seelischen Missbrauch erlitten haben. Richard Dawkins ist meiner Meinung, wenn er schreibt, der seelische Schaden durch die kirchliche Erziehung übertreffe den Schaden, den sexueller Missbrauch anrichte. Natürlich ist dem so. Das äußerte er in einem Vortrag vor Dubliner Intellektuellen und erntete begeisterten Applaus. Hätte er diesen Vortrag vor deutschen Psychiatern gehalten, hätten sie ihn vielleicht für paranoid erklärt. „Kindesmisshandlung“ sei das richtige Wort für die Drohungen der Kirchen mit Hölle und ihrem dem „ewigen Höllenfeuer“, so Dawkins.

 

Martin Baierl, Psychologischer Psychotherapeut in der LWL Klinik Hamm, schreibt uns Grundsätzliches über unsere Kleinen, zu denen er ja auch einmal gehörte: Liebe und Geborgenheit und Sicherheit seien die Dinge, die ein Kind am meisten brauche. Diese Sicherheit bekommt es in einer Kirche jedoch nicht. „Vorhersagbarkeit, Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit helfen Ihrem Kind dabei, Sicherheit zu gewinnen.“ Die beiden Bibelgötter sind unberechenbar. In einer Kirche heutiger Art ist das Kind dem Kirchenkonstrukt Bibeljesus mit seiner nur eventuellen Gnade bzw. mit der möglichen Ungnade (Hölle) ohnmächtig ausgeliefert. In der Erziehung sei aber „klare Ablehnung von Gewalt“ wichtig, so Baierl. Wie verträgt sich das aber mit dem etablierten Christentum und der christlichen Erziehung mit dem unevangelischen Kirchenlied 234: „Dein Seel und Leib dort (in der Hölle) brennen muss...“? Das Lied ist als Bedrohung nach § 241 StGB streng verboten. Die Kirchen müssen sich nämlich trotz aller Religionsfreiheit seit neuestem an die deutschen Gesetze halten, so Prof. Papier, ehem. oberster Richter am Verfassungsgericht. Das Lied Kindern vorzusingen oder sie es lesen zu lassen ist schlimmster Kindesmissbrauch. Die Feuerhölle bzw. eine Folterhölle als Ort einer irgendwie stattfindenden Gerechtigkeit zu verkaufen und damit zu verharmlosen, ist nach § 131 StGB strafbar und den Kirchen ebenfalls streng verboten worden. Das Predigen einer Hölle ist zudem Störung der Religionsruhe unserer Kleinen, die ein deutsches und ein internationales Recht haben, ohne jede Gewaltandrohung groß zu werden.

 

Die Psychiatrie kann also heute aus den genannten Gründen Bibel, Kirche und „Gott“ nicht mehr objektiv kritisieren. Kirchliche seelische Gewalt will von ihr heute in aller Regel nicht mehr als solche erkannt oder als krank machend identifiziert werden. Den Beweis dieser These liefert ihre nahezu vollständig fehlende Kirchenkritik und ihre breitflächige Assoziation in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit den Kirchen in Trägerschaften und gemeinsamer (Theologe, Seelsorger, Arzt) Psychotherapie in den psychiatrischen Krankenhäusern und Ambulanzen. Glaubenskonflikte und die dadurch entstandenen Erkrankungen werden allerdings vom Anstaltsgeistlichen allein „therapiert“. Das solle auch so bleiben, meint die „Nachfolgerin“ Sigmund Freuds, Frau Prof. Leuzinger–Bohleber, Lehramt in Kassel.

Ein von meiner Ärztekammer zu einem Gespräch geladener Psychiater konnte die größte Angst des Menschen, nach dem katholischen Priester Eugen Biser die Angst vor ewiger Feuerfolter in der Hölle, nicht einmal benennen! Ein Hineindenken in die Psyche und die zugegebener Maßen verborgenen seelischen Qualen eines Kleinkindes in einer Kirche oder in einem Dom mit Höllendarstellungen war ihm nicht möglich. „Pornographie“ anzusehen, sei doch „wesentlich schlimmer“, als ihnen eine persönlich sie bedrohende Hölle zu predigen.  Hier irrte er, für Sie als Leser hoffentlich einleuchtend, fundamental. Pornografische Darstellungen sind für Kinder zum einen erträglicher als die Offenbarung eines eventuell auf sie persönlich wartenden ewigen Feuers, zum anderen ist es streng verboten, Pornographie Kindern überhaupt vorzuführen (siehe dazu Jugendschutzbestimmungen § 184 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Strafgesetzbuch und § 4 des Jugendmedienschutzstaatsvertrags).

 

Dr. med. Dipl. theol. M. Lütz, Psychiater, Theologe und Chefarzt einer katholischen Psychiatrie tritt im Gegensatz zu mir für eine strikte Trennung von Seelsorge und Psychotherapie ein. Wenn ein Patient seine Erkrankung im Nachhinein als Versuchung des Teufels interpretieren wolle, so räumt er seinen Kollegen die Möglichkeit durchaus ein, diesen Gedanken und damit die Religiosität des Erkrankten zu „respektieren“. Ich hingegen bin der Überzeugung, eine Religion bzw. Religiosität, die Teufelglaube beinhaltet, ist gar keine. Sie ist kirchengesteuerter Missbrauch in finanziellem Eigennutz. Teufelglaube ist von außen her gelenkter finsterster Glaubensinhalt und gleichzeitig Glaube an eine Folterhölle, der üblichen behaupteten Arbeitsstätte des Teufels. S. Freud hatte schon diese Einsicht. Sollte ein Psychiater ohne diese Sicht den Beruf weiter ausüben? Anders sieht es natürlich aus, wenn er den Teufel schon leibhaftig irgendwo gesehen hat, in seinem Keller zum Beispiel. In diesem Fall hat er natürlich freie Bahn, als Kirchenangestellter seine Kirche mit ganzer Kraft in ihrer Höllenphilosophie zu unterstützen. Zugegeben: Es ist schwer, seinem benediktverpflicheten Arbeitgeber mit krasser Ablehnung des Teufelglaubens in den Rücken zu fallen – oder gar die kirchenkritische Diagnose „ekklesiogene Neurose“ unter einen Arztbrief eines Patienten zu setzen, der sich auf seiner Station gerade erhängt hat. Ein solcher tragischer und völlig unnötiger Tod bedeutet ja auch immer direkte Schuld der Kirche.

Religion geht aber auch ganz anders, sie geht sogar human. Eine anderen, neue Religion ist erklärtes Ziel meiner Gruppe. Der Priester Eugen Biser schreibt uns und unseren Psychiatern dazu:

 

„Auf der einen Seite der liebende Gott, auf der anderen Seite der drohende, strafende Gott. Hier muss eine Selbstkorrektur stattfinden. Hier muss gezeigt werden, dass es diesen strafenden Gott für ein richtig verstandenes Christentum nicht gibt, sondern nur den Gott der bedingungslosen Liebe. Dieser bedingungslos liebende Gott darf und kann nicht mehr gefürchtet werden, denn er nimmt dem Menschen die tiefste aller Ängste, die Gottesangst (gemeint: Höllenangst, der Verf.) aus der Seele. Ich habe den Eindruck, dass die Kirchen das noch nicht begriffen haben.“ Dem ist von meiner Seite nichts hinzuzufügen. Diese Sätze müssen unsere Psychiater und unsere psychologischen Psychotherapeuten jetzt einfach einmal verinnerlichen.

 

Das neu aufgekommene Sprechen über den bisher weitgehend tolerierten sexuellen Missbrauch der Geistlichen ist der Wegbereiter zu einer neuen Diskussionsebene. Daniele Dell´ Agli sagt uns dazu in der Zeitung „Die Welt“: „...blicken wir zuversichtlich dem Tag entgegen, da man in ähnlicher Breite und Schärfe (wie beim sexuellen Missbrauch, der Verf.) über den Missbrauch metaphysischer Bedürfnisse durch die so genannten Religionen diskutieren wird.“

Dieser Tag ist heute.

Bevor wir uns mit der Zeit vor 1918 beschäftigen, will ich Ihnen, lieber Leser, noch die grausamsten Bücher dieser Welt vorführen und erläutern: Die kirchlichen Gesangbücher und die Bibel. Panzerlieder nenne ich sie, diese Lieder, die unseren Kindern die geplanten Grausamkeiten unseres „Gottes“ nahe bringen sollen und eine krankmachende Schuld unseren Kleinen in unverantwortlichem Maß einreden, einsingen. Perfide ist beim Absingen der Texte, dass die Ich- oder die Wir-Form vorgezogen wird. In dem Sinn: „Ich habe verschuldet...“, „ich habe Jesus am Kreuz gefoltert“. Perfide ist das Absingen in einem den Zustand der Suggestion herstellenden Gottesdienst. Doch lesen Sie selbst. Panzerlieder schädigen Kinderseelen ebenso, als wenn Panzer über ihre Körper rollen würden. Die Gewalteinwirkung wird nur nicht sogleich evident. Kinder weinen nach der Schädigung nicht, sie gehen spielen. Als wenn nichts gewesen wäre. Im Buch „Wenn die Kinderseele weint (von I. Romberg-Asboth, Kösel-Verlag) steht es: „Eine der größten Selbsttäuschungen ist es, wenn wir glauben, dass keine Tränen fließen. Dabei sind viele Auffälligkeiten wie

 

überhöhte Aggressionen, Kontaktarmut, Isolierung, die Rolle des Klassenclowns, auch Lügen, Stehlen, Lernstörungen intelligenter Kinder, große Unruhe (Zappelphilipp), Bettnässen, Stottern, Nägelbeißen, Einkoten und übermäßige Ängste nichts anderes als Ausdrucksformen kindlicher Seelentränen.“ Natürlich gehören hierher auch die großen psychiatrischen Angstkrankheiten, die Depressionen und Psychosen - und als großes Thema die zunehmende Jugendgewalt.

 

Dagmar C. Walter sagt uns dazu in ihrem Buch „Kinder vor Gewalt schützen“, Kreuz Verlag: „Jugendgewalt stellt häufig eine Gegengewalt dar. Diese Gewalt richtet sich gegen unsichtbare oder auch strukturelle Gewalt, die der junge Mensch in seiner Erziehung... erfährt.“ Und: „Alle Schüler haben das Recht auf ...psychische Unversehrtheit.“ Wie weit sind wir beim heutigen Religionsunterricht davon entfernt! Da muss unser Staat dazulernen.

Ein Pastor schreibt mir zustimmend zu den geltenden Gesangbüchern: „...christliche Lieder, wie sie in den Gesangbüchern der verschiedenen Glaubensrichtungen zu finden sind, sind stets Ausdruck von Glaubensüberzeugungen..... Gewisse Aussagen, besonders über Buße, Umkehr und Bestrafung (durch Gott), bedürfen der Erklärung; sie können – auch besonders von Kindern – missverstanden werden und sind nicht geeignet, sie kindgerecht zu vermitteln. Seelische Schäden könnten durch diese Texte hervorgerufen werden. Insofern können nach meiner Überzeugung diese Lieder als kindergefährdend im Sinne der Rechtssprechung bezeichnet werden. Mit freundlichen Grüßen...“

Ich muss nicht betonen: Bis zur manifesten Psychose führende Kindergefährdung ist in der BRD selbst bzw. auch für die Kirchen strengstens verboten. Ein zweiter Pastor schreibt mir wörtlich sogar, einige Kirchenlieder seien „stark kindergefährdend“. Unsere Justiz lässt allerdings derartige Verbrechen in Kenntnis der Gesetze den Kirchen durchgehen. Noch durchgehen, möchte ich sagen.

 

Wie lange noch, lieber Leser, hängt von Ihrer Reaktion auf  meine Bücher ab.

 

 

 

Zerstörte Kinderseele
Zerstörte Kinderseele